Ideen für einen erneuerten Tag der Organspende – Ergebnisse einer Umfrage

Stellungnahme vom 12. Juli 2019

Die Umfrage zu neuen Ideen für den Tag der Organspende hatten wir an Leiter und Mitglieder von Selbsthilfe-Organisationen, an leitende Mitarbeiter der DSO und der BZgA, an Ärzte, die der Organspende positiv gegenüberstehen, sowie an leitende Mitarbeiter der Krankenkassen und der DTG gerichtet.

Interessante neue Ideen kamen aus fast allen angeschriebenen Gruppen, wobei sich die DSO als Mitorganisator verständlicherweise zurückgehalten hat. Im Folgenden werden die Ideen, die oft auch mehrfach geäußert wurden, zusammengefasst präsentiert. Ziel der Umfrage und dieser Zusammenfassung ist es, dem Gremium, das den Tag der Organspende gestaltet, ebenso wie den Geldgebern, den teilnehmenden Gruppen und Einzelpersonen Anregungen für den Tag der Organspende (TdOS) zu geben.

  1. Mitte 2020, wenn möglicherweise wieder ein TdOS stattfindet, ist aus der politischen Debatte um die Organspende die Luft vermutlich völlig raus, denn der Bundestag wird entweder die Widerspruchs- oder die Entscheidungslösung angenommen haben. Die Not wird aber nur allmählich nachlassen, selbst falls die Widerspruchregelung zukünftig gelten sollte. Daher solle der TdOS seine Zielsetzung überprüfen und seine Wirkung kritisch hinterfragen. Es wurde in mehreren Antworten die Ansicht geäußert, dass der TdOS in der Vergangenheit keine erkennbare Wirkung auf die Bereitschaft zur postmortalen Organspende gehabt habe. Also: Zielstellung und Wirkung kritisch überprüfen!

  2. Die Bereitschaft zur postmortalen Organspende sollte nicht länger als „Herzenssache“ bezeichnet werden. Vielmehr sei diese Bereitschaft eine Sache der Fairness – jedenfalls für alle diejenigen, die im Fall des Falles ein Organ annehmen würden. Also ein neuer zentraler Slogan: „Organspende – eine Sache der Fairness!“

  3. Kritisch überprüft werden müsse v.a. die Beschränkung des bisherigen Konzepts des TdOS darauf, dass Organempfänger ihren lebenden oder verstorbenen Spendern bzw. deren Angehörigen danken. Das sei selbstverständlich auch wichtig. Man dürfe dabei aber nicht stehenbleiben. Also: Der TdOS muss auch dem Protest gegen den vermeidbaren Mangel und dem Leiden auf der Warteliste ein Forum bieten.

  4. In mehreren Antworten wird gesagt: Kritisch überprüft gehört auch der bisherige Verzicht des TdOS auf politisches Denken, Handeln und Fordern. Denn es stehen weitere Reformen an, die das Los der Organpatienten erleichtern würden – und daher auf einem TdOS diskutiert werden müssten. Dazu gehören: die Überkreuzspende und die Organspende nach Herz-Kreislauf-Stillstand. Darüber hinaus gibt es z.B. die Möglichkeit, erklärten Organspendern einen Bonus auf der Warteliste einzuräumen. Also: Zukünftig vor politischen Forderungen und der Diskussion weitergehender Reformen nicht mehr zurückschrecken!

  5. In dieselbe Richtung geht die mehrfach geäußerte Ansicht, dass Gestaltung und Aussagen des TdOS viel zu „zahm“ seien. Bloß niemanden herausfordern, lieber dreimal bitten als einmal fordern. Lieber auf der Bühne das Allerselbstverständlichste zeigen – nämlich wie gut es auch nach vielen Jahren noch ist, ein Spenderorgan zu haben –, als dass die Not der Wartepatienten geschildert wird. Also: Mehr Mut zur klaren Ansprache! SKANDAL nennen, was ein Skandal ist!

  6. Zweifel wurde geäußert, wen ein Zelt mit dem Titel „Aufklärung“ anspricht. Überhaupt irgendjemanden? Ähnliches gelte für Zelte mit dem Namen von Organen wie „Herz“, „Niere“. Es wurde die Vermutung geäußert, dass derartige Zelte v.a. dazu dienen, dass die entsprechenden Selbsthilfeorganisationen dort Flagge zeigen können, dass aber der Publikumsbesuch darin sehr begrenzt ist. Also: den Publikumsbesuch in derartigen Zelten offen und ehrlich beschreiben und veröffentlichen – und dann Konsequenzen ziehen!

  7. Im Unterschied zu Zelten wie „Herz“, „Niere“ usw. wurde das neu aufgenommene Zelt „Ethik und Religion“ als sehr sinnvoll angesehen und als eine (von wenigen) echten Verbesserungen bezeichnet. Eine weitere Ergänzung könne ein Zelt sein, in dem über Reformoptionen informiert und gestritten werden kann. Als kleinen ersten Schritt dahin gab es ja in Kiel tatsächlich einen Programmpunkt, in dem in einem Zelt mit einem Arzt über die Widerspruchslösung diskutiert werden konnte. Zugelassen waren aber – selbstverständlich – nur Betroffene. Denn nicht persönlich von einem Organleiden betroffene Menschen können zur Frage der Widerspruchslösung ja keine ernst zu nehmende Meinung haben. Also: Zeit und Raum zur Diskussion über Reformen bereitstellen, dabei keine Teilnehmer ausgrenzen!

  8. Das Informationsangebot solle breiter und vielfältiger werden, z.B. durch Sachfilme über den Ablauf einer Transplantation, über eine Woche an der Dialyse, über den Ablauf einer Überkreuzspende. Aber auch Spielfilme, warum nicht? Der kürzlich herausgekommene Film „Das Leben meiner Tochter“ hätte sich, so die Meinung, hervorragend geeignet, um mit den Besuchern überhaupt in einen Dialog zu kommen und speziell zu zeigen, inwieweit der Film die deutsche Wirklichkeit trifft und inwieweit nicht. Also: Sachfilme zulassen, Spielfilme nicht von vornherein ablehnen!

  9. Der ökumenische Gottesdienst mit den beiden christlichen Konfessionen wurde v.a. in zweierlei Hinsicht kritisiert.  Erstens: Der Gottesdienst, wie er nun bereits seit Jahren in stets gleicher Form abläuft, ist ein Dankgottesdienst, und das ist auch in Ordnung. Aber es sei nicht in Ordnung, dass der Gottesdienst sich auf das Danken beschränkt und fast vollständig darauf verzichtet, die Menschen im Hinblick auf die Bereitschaft zur Organspende zu ermahnen und ihnen ins Gewissen zu reden. Also: Dieser Gottesdienst macht den Menschen auf der Warteliste keine Hoffnung.

  10. Der zweite Kritikpunkt an dem Gottesdienst lautete: Das Konzept sei aus der Zeit gefallen. Denn der Gottesdienst spreche weder die muslimischen noch die jüdischen Mitbürger an. Zudem sei er als reiner Dankgottesdienst sowieso eine Sinnverfehlung. Statt dieses Gottesdienstes sollten vier Geistliche (ev., kath. musl., jüd.) die Gelegenheit erhalten, auf der Bühne ihre Überzeugung zur Organspende darzulegen. Also: Schluss mit diesem Gottesdienst. Stattdessen vier Geistliche auf die Bühne!

  11. Die Show mit den gewonnenen Lebensjahren, die auf der Bühne dargestellt werden, bringe etwas Schwung in den TdOS und lockere auf. Aber es werde dadurch – wie beim Gottesdienst – nur dem Dank Ausdruck verliehen. Wieso verzichte man auch hier darauf, neben den Dank mindestens gleichberechtigt auch die Aufforderung und den Appell zu stellen? Also: Die Bereitschaft zur Organspende klar und deutlich einfordern!

  12. Am TdOS kommen die Organempfänger mehrfach dankend zu Wort – viel weniger dagegen die Spender und deren Hinterbliebene. „Die Kieler Organspender des letzten Jahres“ – so hätte ein Thema des Tages lauten können. Die Lebend-Organspender selbst oder die Hinterbliebenen von postmortalen Spendern würden geehrt werden, könnten auf der Bühne etwas sagen, würden interviewt. Eine große Stellwand könnte Fotos von ihnen zeigen (nach Zustimmung der Betreffenden). Vermutlich wären auch örtliche Zeitungen bereit, Fotos der „Kieler Organspender“ unentgeltlich zu veröffentlichen. Also: die Spender zu Wort kommen lassen, sie in Wort und Bild ehren!

  13. Neben den Spendern und Hinterbliebenen sei eine weitere Gruppe am TdOS völlig unterrepräsentiert: die Patienten auf der Warteliste. Die Besucher bekämen ein geschöntes, man könne sagen geradezu falsches Bild von der Dringlichkeit, ja der Tragik der Mangelsituation. Neben der Show der gewonnenen Lebensjahre könnte man eine Show machen: Jahre auf der Nierenwarteliste. Es könnten dort Menschen auftreten, die immer noch warten oder nach einer Wartezeit ein Spenderorgan erhalten haben. Also: Wartelisten-Patienten in einer eigenen Show auftreten lassen!

  14. Es gibt Menschen, die gegen die Widerspruchslösung (und weitergehende Reformen) waren – aber in dem Moment ihre Meinung geändert haben, als sie selbst zum Patienten auf der Warteliste wurden. Diese Menschen sind besonders glaubwürdige Botschafter notwendiger Reformen. Also: Solche Menschen auftreten und von ihrem Sinneswandel berichten lassen.

  15. Wer nicht von einem Nierenleiden betroffen ist, kann sich die Situation der Menschen an der Dialyse vermutlich nicht richtig vorstellen. Darüber gibt es am TdOS zwar sachliche Information im Zelt „Niere“ – aber wer ruft diese Information ab? Die Besucher sollten mit der Nase darauf gestoßen werden. Also: Ganz zentral auf dem Platz aufgestellt: Ein Bett mit Dialyse-Maschine. An dem Bett stehend erläutert ein Betroffener, wie es ihm/ihr damit geht. Ein Arzt übersetzt diesen individuellen Fall ins Allgemeine.

  16. Wer die Dialyse zu Hause macht, benötigt alle zwei Wochen Spritzen, Verbände und Tüten, in zehn Kartons verpackt, auf einer Palette gestapelt: 1 m breit, 1,80 hoch. Also: jede Stunde wird eine Palette auf die Bühne gefahren und der Zusammenhang erläutert.

  17. Auch die schwierige Situation in den Kliniken sollte dargestellt werden. Dabei geht es nicht um ein Bloßstellen der Kliniken mit geringen Spenderzahlen, eher darum, wie ein Anstubsen aussehen könnte. In einem Sketch könnte gezeigt werden, wie unterschiedlich Gespräche mit Hinterbliebenen ablaufen können – und wie schwierig diese Gespräche für Ärzte und Hinterbliebene sind. Also: Auch das Verhalten der Kliniken in den TdOS einbeziehen!

  18. In einer Antwort wird vorgeschlagen, dass eine als Sensenmann verkleidete Person auftritt. Diese solle auf Brust und Rücken den Text tragen: „Ich bin gegen die Widerspruchsregelung“. Man könnte sich auch einen Sketch vorstellen, der auf der Bühne gezeigt wird. Darin könnten der Sensenmann und zögernde Politiker gezeigt werden, die sich jahrzehntelang zu keinen Reformen durchringen konnten. Also: Man sollte Mut haben, auch mal zu drastischen Mitteln zu greifen.

  19. Auch mit dem Steigenlassen bunter Luftballons, wie am TdOS teils durchgeführt, soll gedankt werden. Aber das reiche nicht. Also: Stattdessen oder zumindest zusätzlich sollte man mit schwarzen Luftballons der jährlich 1000 Toten auf der Warteliste gedenken.

  20. Messung des Erfolges des TdOS: Besucher, die auf den Platz kommen, sollten gebeten werden, den Grund ihres Besuchs zu nennen, bzw. ihre Erwartung auszudrücken. Besucher, die den Platz verlassen, sollten gebeten werden zu sagen, was ihnen an der Gestaltung des TdOS gefallen hat, was sie vermisst haben, usw. Das wäre jedenfalls schon mal ein kleiner Baustein einer Evaluierung des TdOS. Also: Die Besucher vorher und nachher befragen!

  21. Die Besucher sollten Gelegenheit bekommen, sich einzubringen und sich mit dem TdOS auch öffentlichkeitswirksam zu identifizieren, z.B. indem den Besucher angeboten wird, ein entsprechendes T-Shirt zu kaufen und sofort überzuziehen. Also: T-Shirts mit verschiedenen Aufdrucken – von milde bis drastisch – zum Verkauf bereithalten.

  22. Es wurden auch grundsätzliche Alternativen zum TdOS genannt, die auf ein Abschaffen des TdOS hinauslaufen würden. Diese Alternativen wurden v.a. mit den hohen Kosten und der geringen Wirksamkeit des TdOS begründet. Eine der Ideen ist: Organspende-Lauf statt TdOS.

  23. Der erste (jedenfalls der erste breit beworbene) Organspende-Lauf fand im Frühjahr 2019 in München statt, zusammen mit dem Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie. Im nächsten Jahr soll der Organspende-Lauf in Berlin stattfinden, erneut zeitgleich mit dem Chirurgen-Kongress. Der Lauf in München hatte ein sehr weites Echo in der Presse gefunden, sehr viele junge und alte Läufer (für verschiedene Distanzen) motiviert mitzumachen und auch sehr viele Besucher angezogen. Es ist selbstverständlich grundsätzlich auch möglich, den TdOS und einen Organspende-Lauf zu organisieren – falls für beide Veranstaltungen die erforderlichen Gelder aufgetrieben werden können. Wenn man sich aber für eine der beiden Möglichkeiten entscheiden muss, wird man beide Veranstaltungen neutral evaluieren müssen – letztlich im Hinblick auf die zentrale Frage: in welchem Maße wird die Bereitschaft zur Organspende gefördert. Also: Neutrale Evaluierung der Wirksamkeit von Organspende-Lauf und TdOS vornehmen!

  24. Eine zweite Alternative zum traditionellen TdOS, der ja an einem jährlich wechselnden, aber immer nur an einem Ort stattfindet, ist: viele kleine Tage der Organspende einmal im Jahr, aber an vielen Orten gleichzeitig zu veranstalten. Die vielen Mitglieder der Selbsthilfe-Organisationen müssten eigentlich in der Lage sein, an mindestens 50 Orten in Deutschland an einem Samstag einmal im Jahr mit einem Informationsstand präsent zu sein. Der individuellen Ausgestaltung – mit Zeugnissen Betroffener, Dialysemaschine, Aufklärungsfilmen, Podiumsdiskussion über Reformen, Stellungnahmen von Ärzten – sollte keine Grenze gesetzt sein. Also: Macht viele Tage der Organspende gleichzeitig – und evaluiert dann kritisch!

Der Verein Gegen den Tod auf der Organ-Warteliste hofft, mit unserer Umfrage und dieser Zusammenfassung der eingegangenen neuen Ideen zur Verbesserung – oder Ersetzung – des Tags der Organspende allen denen einen Dienst geleistet zu haben, denen es in erster Linie darum geht, das Schicksal der Wartelisten-Patienten zu verbessern.

Falls Ihre neue Idee hier nicht auftaucht, dann nur weil sie übersehen wurde, nicht aus böser Absicht. Bitte informieren Sie uns in dem Fall erneut. Auch weitere neue Ideen sind immer willkommen und könnten in eine Aktualisierung dieser Zusammenfassung aufgenommen werden.

Dr. Rigmar Osterkamp und Vorstand Gegen den Tod auf der Organ-Warteliste e.V.


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Eine Mahnung von 1970 (!) -- leider immer noch angebracht

"Bei der Organtransplantation muss die Gesellschaft letztlich eine harte Entscheidung treffen: Vorrang für das Leben oder für Tabus?"

Jesse Dukeminier Jr.

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